Spoiler: Diese beiden heiraten am Ende (aber das wissen wir schon in Minute 1) |
Ich habe kleine Kinder. Die lernen gerade, Witze zu erzählen. Witze sind oft in Dreieretappen aufgebaut, mit der Pointe am Schluss. Wenn kleine Kinder diese Witze erzählen, weiß man oft schon am Anfang, wie die Pointe aussehen wird. Aber weil wir unsere Kinder nicht vor den Kopf stoßen wollen, hören wir den Witz höflich bis zum Schluss an und lächeln dann (leicht gequält).
Hitchcocks siebter Film, The Farmer's Wife (dt.: Die Frau des Farmers) ist so ein schlecht erzählter Episodenwitz. Wir wissen gleich zu Beginn, wie die Pointe aussehen wird und schauen dann, halb gequält, halb gelangweilt, dem Unvermeidlichen zu. Am Ende wird bestätigt, was wir schon zu Beginn wussten und wir gehen keinen Deut klüger aus diesem Film raus. "Alles liegt also offen zutage, die Absichten, die Begierden, der Abschau, die Gefühle," wie Michael Althen schreibt (242).
Man muss The Farmer's Wife als Beleg dafür werten, dass der junge Hitchcock seine Filmsprache noch nicht gefunden hat. Denn es war ja gerade der reife Hitchcock, der darauf bestand, seinem Publikum nie zwei Mal dasselbe bieten zu wollen (der sogar dem Kierkegaard'schen Thema der Wiederholung-mit-Differenz einen eigenen Film gewidmet hat, Vertigo). So bleibt dieser Film ein schlecht erzählter Witz (bleiben wir fair und gestehen dem Film zu: Komödie ist ohne Dialoge fraglos schwerer als das Tragische, Melodramatische oder Spannungsgeladene).
Auf jeden Fall teile ich die Ansicht von Kritiker Maurice Yacowar nicht, der Farmer's Wife als "Hitchcock’s most underrated work" bezeichnete (47) oder von Kirk Bond, der 1966 den Film unerklärlicherweise als Hitchs "most brilliant achievement" bewertet (Bond 32-33). Hier scheint das nachvollziehbare Verlangen des Kritikers, ein Meisterwerk zu entdecken, innovative Diskursarchäologie zu betreiben, das Urteil getrübt zu haben.
Farmer's Wife hat ein paar originelle visuelle Einfälle, eine paar Dialoge, die in den 1920ern sicherlich gewagter wirkten als sie es heute tun sowie ein gutes Ensemble. Aber gelacht habe ich dennoch kein einziges Mal, gegähnt vielleicht schon... aber ich möchte nicht nur meinen Kindern gegenüber höflich sein, Sir Alfred hat denselben Respekt verdient. Schauen wir uns diesen filmgewordenen Kalauer also an.
Inhaltsangabe von Hitchcocks Farmer's Wife (1928)
Der verwitwete Farmer Sweetland (Jameson Thomas) sucht eine neue Frau und hält erfolglos um die Hand aller Frauen an, die bei drei nicht auf den Bäumen sind, bis er zum Schluss, von deren Zurückweisungen enttäuscht, feststellt, dass sein hilfsbereites Dienstmädchen Minta (Lillian Hall-Davis) in Wahrheit seine wahre Liebe ist. Ende.
Das war der Plot in einem Satz. Der Rest wird gefüllt mit Nebenhandlung bzw. den Capricen der schrulligen Nebencharaktere, wie etwa Sweetlands Faktotum Churdles Ash (Gordon Harker), der gerne Bier trinkt und sich beim Servieren die Hosen halten muss, damit diese nicht rutschen. Und dann eben von den vier (nicht drei) Frauen, die Sweetland der Reihe nach zu freien gedenkt: "die dralle Amazone Louisa Windeatt [...], das dürre, schreckhafte Klappergestell Thirza Tapper [...], die überkandidelte Mary Hearn [...], die mit allen Wassern gewaschene Mercy Bassett" (Althen 243-244).
Chaplineske Clownereien von diesem Nebencharakter sollen den Film auflockern |
Wenn er am Ende Mintas Namen auf die Liste der Frauen schreibt, die er zu freien gedenkt (und deren Namen allesamt bereits durchgestrichen sind), fragt sie ihn, ob er es ernst meine, schließlich käme sein Antrag nun doch recht unerwartet. Darauf antwortet Sweetland: "The Lord works the same as lightning" (1:25:51). Man wünschte, dass auch der Film so schnell vorbei sei wie ein Blitz am Himmel. Dass der Film zu lang ist, sehen viele Zuschauer*innen so (siehe z.B. die Meinungen in der Podcast-Folge von Presenting Hitchcock).
Farmer Sweetland Looking for Love in all the Wrong Places (die Ähnlichkeiten sind verblüffend, der Humor derselbe...) |
Dieses Abzählreimprinzip und die Tatsache, dass der Farmer ein aufgeblasener und selbstzufriedener Mann ist, erinnerte mich ein bisschen an die Leisure Suit Larry-Computerspielreihe, insbesondere an den zweiten Teil aus dem Jahr 1988. Der trug den Untertitel: Leisure Suit Larry Goes Looking for Love (in Several Wrong Places). Farmer Sweetland tut nichts anderes in diesem Film.
Cinematografie in The Farmer's Wife
Auch in diesem Stummfilm ist die Kamera meistens statisch, wenngleich es wieder (vereinzelte) Ausnahmen gibt, wie etwa die Szene in der Taverne, in der die "entfesselte" Kamera Farmer Sweetland durch die Menschenmenge bis zur Bar folgt.
Farmer Sweetland's Next Top Model... Vier Doppelbelichtungen später sieht er Minta im Stuhl sitzen |
Auch die klassischen Doppelbelichtungen der vorherigen Filme gibt es hier in großer Zahl. Das wundert nicht: Hitchcock muss hier Gedanken zeigen, die er im Stummfilm nicht verbalisieren kann. Bei Pleasure Garden war das die tote Eingeborene, die Levet in seinem Wahn verfolgt; bei Downhill zeigt die Traumsequenz während Roddys Fieberwahn die verlorenen Frauen seines Lebens; in The Ring erscheint das Gesicht des Nebenbuhlers auf dem Boxsack usw. Hier, in Farmer's Wife, ist es die sprichwörtliche Casting Couch. Der Stuhl, auf dem zu Lebzeiten die Frau des Farmers saß wird gezeigt und dann geisterhaft die jeweils aktuelle Kandidatin für das Amt der "Farmer's Wife" übergeblendet. Als die Überblendungen enden sitzt dort: Minta. Jetzt endlich wird ihm klar, was das Publikum schon lange wusste.
Der hungrige Farmer
The Farmer's Wife enthält den ersten Zoom-in, der mir in Hitchcocks Filmen aufgefallen ist. Bezeichnenderweise ist es Essen, auf das die Kamera zufährt, eine Schale mit Konfekt. Die subjektive Kamera zeigt den zielsicheren Blick eines kleinen Jungen beim Betreten des Raums. Er blendet alles aus, was es gibt und seine Augen schauen nur auf die Süßigkeitenschale. Die Kamera macht eine Dollyfahrt bis die Schale das gesamte Bild einnimmt.
Dieser Junge hat nur Augen für das Naschwerk: Kamera-"Zoom" (Dollyfahrt auf die Schale zu) |
Apropos Essen: Es wird eine Menge gegessen in diesem Film. Hitchcock scheint das Thema der Brautwerbung mit dem der Nahrungsaufnahme zu verbinden.
Wenn sich der Farmer auf den Weg macht, die erste Frau zu freien, sagt er siegessicher: "[She] will come like a lamb to the slaughter". Und als er dann nach kurzem Ritt durch das Gebirge an ihrem Hof ankommt, sagt er doppeldeutig zu ihr: "I come over like the foxes you're so fond of .... to pick up a fat hen!"
Sweetland würde gerne Frauen vernaschen... |
Die zweite Frau hält einen Wackelpudding in der Hand, als Sweetland ihr einen Antrag macht. Sie wird daraufhin so nervös, dass der Pudding zu wackeln beginnt.
Beim Antrag beginnt der Wackelpudding wild zu wackeln |
Mit der dritten Frau muss er zusammen im Garten Pflaumen essen, sehr zu seinem Missfallen, da er die Pflaumen wohl nicht mag. Als sie ihn später ablehnt, wird er ihr vorwerfen: "The trouble with you is, you are too fond of dressing your mutton lamb fashion," woraufhin sie einen hysterischen Anfall erleidet (hier musste ich das einzige Mal im Film lachen, als sie schockiert fragt "Is this a nightmare?" und er nüchtern entgegnet "Your hat is.").
Wer auf Freiersfüßen wandelt, muss gut essen, scheint der Film zu sagen. Seinen Appetit stillt man in The Farmer's Wife mit Frauen und mit einer gut gebratenen Lammkeule.
Auf der Jagd nach der Ehefrau
Trotz Hitchs gut dokumentierter Abneigung gegenüber Außenaufnahmen, enthält The Farmer's Wife einige bemerkenswerte Szenen einer Hetzjagd, die wie aus einem Roman von R.S. Surtees wirken (über den ich, schamlose Eigenwerbung, übrigens hier einmal gearbeitet habe).
Die Hetzjagd: R.S. Surtees hätte seine Freude an dieser Szene gehabt |
Auch wenn wir vier Frauen sehen, die Sweetlands Avancen zurückweisen, ist der Film doch weit davon entfernt, das Bild einer starken Frau zu zeichnen. Das Misogyne überwiegt. Die Dialoge sind entsetzlich sexistisch. So sagt der Farmer an einer Stelle: "I don't mind they pillowy women... so long as they be pillowy in the right places." Woraufhin die gute Minta (der Angel in the House) den Farmer ermahnt: "A woman that's a pillow at thirty be often a feather bed at forty!" Und während sie das sagt, tut sie dem Farmer den Gefallen, die Namen von vier Frauen auf einen Zettel zu schreiben, auf dass er sie der Reihe nach rightswipen kann (Tinder im Jahr 1928 halt).
Fazit
Films Cited/Mentioned (in chronologischer Reihenfolge)
- Pleasure Garden (dir. Alfred Hitchcock) (1925)
- Downhill (dir. Alfred Hitchcock) (1927)
- The Ring (dir. Alfred Hitchcock) (1927)
- The Farmer's Wife (dir. Alfred Hitchcock) (1928)
- Vertigo (dir. Alfred Hitchcock) (1958)
Works Cited (alphabetische Reihenfolge)
- Althen, Michael. "The Farmer's Wife (1927)." In: Lars-Olav Beier und Georg Seeßlen (Hg.): Alfred Hitchcock. Berlin: Bertz Verlag, 1999: 242-244.
- Bond, Kirk. "The Other Alfred Hitchcock." Film Culture 5.41 (1966): 30-35.
- Truffaut, François. Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? 1966. Übers. v. Frieda Grafe und Enno Patalas. 2. Auflage. München: Heyne, 2003.
- Yacowar, Maurice. Hitchcock's British Films. 2nd ed. Detroit: Wayne State UP, 2010.
Kronshage, Eike. "Hitchcocks The Farmer's Wife (1928), oder: Da waren's nur noch..." Hitchcock: Rewatch 2022, 31.05.2022, https://hitchcock22.blogspot.com/2022/05/hitchcock-007-farmers-wife-1928-oder-da.html.
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