Direkt zum Hauptbereich

Hitchcock #001: The Pleasure Garden (1925), oder: Erster Hitchcock-Film und kein wirklicher Hitchcock-Film?

Patsy tanzt im "Pleasure Garden"

Ein Mord macht noch keinen Krimi

Sagen wir es gleich vorweg: Der erste (erhaltene) Hitchcock-Film, The Pleasure Garden (1925), ist nicht sonderlich bemerkenswert. Wäre er nicht von dem Mann, der später zum Master of Suspense wurde, wir würden uns heute nicht mehr für ihn interessieren. Es handelt sich bei Pleasure Garden um ein recht simpel gestricktes Liebesmelodram ohne sonderliche Raffinessen. Das Thema ist Treue versus die titelgebende Leidenschaft und Lust. Und auch wenn ein Mord vorkommt, hat das Ganze nichts damit zu tun, was Morde in Hitchcocks späteren Filmen bedeuten. Der Film ist, wie Cory und Aaron vom Presenting Hitchcock-Podcast zu Recht feststellen "bizarre" und man schaut in einem "constant #wtf mode". 

Inhaltsangabe (Spoiler!)

Patsy (Virginia Valli) ist Tänzerin im Ensemble einer Varieté-Show im Theater Pleasure Garden. Jill (Carmelita Geraghty) ist ein mittelloses Mädchen, das hofft, Tänzerin zu werden. Patsy nimmt sie bei sich auf und verhilft Jill zu einem Vortanzen, das den Grundstein zu Jills Karriere legt. Jills Verlobter Hugh (John Stuart) verabschiedet sich von ihr, als er für zwei Jahre in die Kolonien reisen muss. Aber kaum ist er weg, erliegt Jill, inzwischen zum Show-Star avanciert, den Avancen des superreichen Prinzen Ivan (Karl Falkenberg). Ihre Freundschaft zu Patsy und ihre Verlobung mit Hugh vergisst sie darüber völlig. Patsy heiratet inzwischen Hughs Freund Levet (Miles Mander), der aber kurz darauf auch in die Kolonien reist, wo er sich erotischen Abenteuern mit einer Einheimischen (Elizabeth Pappritz) hingibt. Patsy wähnt ihren Mann erkrankt und reist ihm nach, nur um ihn in den Armen der anderen Frau zu finden. Die Einheimische macht Levet eine Szene, geht ins Wasser, wo Levet sie schließlich ertränkt. Patsy und Hugh finden zueinander und verlieben sich. Als Levet, vom Geist der Ermordeten heimgesucht, in seinem Wahn Patsy erstechen will, wird er erschossen. Happy End.

Liebe oder nur pleasure?

Der Film dekliniert das Thema von wahrer Liebe vs oberflächliche Leidenschaft in mehreren, jeweils recht konventionellen, Konstellationen durch: 

Jill hält ihrer Freundin Patsy nicht die Treue, sobald diese es zu einer Star-Tänzerin geschafft hat. Patsy war für sie nur Mittel zum Zweck. Der Zweck: Die eigene Leidenschaft. Diese erfüllt ihr der russische Prinz Ivan besser. 

Levet (links) begehrt Patsy; Hugh (rechts) liebt Patsy

Levet enttäuscht Patsy ebenfalls, da es ihm nie um Treue ging. Das Eheversprechen lässt er sich sichtbar widerwillig abringen, da es ihm nur um die sinnliche Lust mit Patsy geht. Als sein Schiff vom Hafen ablegt, macht er sich noch nicht einmal die Mühe, Patsy zu winken (eine starke Szene). 

Patsy Abschiedswinken blendet Hitch über zum Willkommenswinken der Einheimischen, die Levet in der Ferne liebt. Glücklicherweise bleibt der somit doppelt betrogenen Patsy noch Hugh, der ebenfalls von Freund und Verlobter betrogen wurde. Und so kommt zusammen, was zusammengehört: Ein Paar, dem es nicht um pleasure geht, sondern um echte, aufrichtige Liebe.

Mit Metaphern gegen das Melodrama?

Hitchcock versucht, das eher banale Melodrama mit der Metapher des Showgeschäfts zusammenzuhalten. Dort, im Showbiz, geht es auch vorrangig um Lusterregung, aber eben nicht um authentische Gefühle. Das Show-Geschäft ist ein business und so steht das Finanzielle in fast allen Szenen im Vordergrund: Gleich in der ersten Szene von Jill wird ihr das Geld gestohlen; nach ihrem Vortanzen verhandelt sie selbstbewusst (oder gierig?) um ihre Gage. Prinz Ivan hat scheinbar unerschöpfliche Geldvorräte. Die Männer müssen in die Kolonien reisen, um Geld zu machen, das sie nicht haben. Jill leiht Patsy keinen Cent, als diese sie anfleht. Die Vermieter von Patsy geben ihr gesamtes Erspartes auf, um Patsy die Überfahrt zu ihrem vermeintlich erkrankten Mann zu finanzieren. usw. Es wäre jedoch übertrieben, von einer Metapher des Handels zu sprechen, da das Geld ausschließlich auf der Plot-Ebene funktioniert. Hitchcock findet keine Bilder dafür, wie es ihm in späteren Filmen gelingt (man denke nur an die in einer Zeitung eingepackten $40.000 in Psycho oder an die Bündel an Geldscheinen in der gelben Handtasche in Marnie).

Nun könnte man sagen, dass das Melodramatische eigentlich unter Hitchcocks Würde ist. Und ja, spätere Filme wie Psycho oder Birds sind weitgehend frei davon. Dennoch war das Melodrama ein Modus in vielen seiner Filme der kommenden ein bis anderthalb Jahrzehnte. Man denke nur an seine (sehr lose) Verfilmung von Joseph Conrads The Secret Agent (zu dem ich mehrfach gearbeitet habe, zuletzt hier) unter dem Titel Sabotage, der (zumindest in dieser Hinsicht der literarischen Vorlage treu) das Melodrama produktiv nutzt. 

Melodramatische Szene: Der "wahnsinnig" gewordene Levet greift seine Ehefrau Patsy mit einem Säbel an

Hitchcock selbst war sich aber bewusst, dass das Melodrama in keinem guten Ruf stand. 1937, auf der Höhe seiner britischen Karriere, veröffentlichte er deshalb sogar einen Artikel mit dem Titel "Why I Make Melodramas" (dt.: "Wieso ich Melodramen mache") in der Zeitschrift Film and Stars. Dieser öffnet mit dem apologetischen Satz: "I admit I prefer to make films that may be so classified" (dt. "Ich gebe zu, dass ich es vorziehe, Filme zu drehen, die man so [als Melodrama] klassifizieren kann"). Seine Definition des Melodramatischen ist eine rezeptionsgeschichtliche, die durchaus etwas von den Geschmacksanalysen des späteren Pierre Bourdieu hat; Hitchcock schreibt: 

[...] snobbery asserted itself. What you saw at Drury Lane was drama. At the Lyceum it was melodrama. The only difference was the price of the seat. 
[...] Snobismus machte sich breit. Was man im Drury Lane-Theater sah war Drama. Im Lyceum-Theater war es Melodrama. Der einzige Unterschied war der Preis für die Eintrittskarte.

Die Rezeption von Melodrama ist also, so Hitchcock, an den Klassengeschmack gebunden und markiert damit (Bourdieu avant la lettre) Die Feinen Unterschiede. Für Hitchcock ist Melodrama Teil des filmischen Realismus, den er nach eigener Aussage so sehr anstrebt: "Therefore I employ what is called melodrama — but which might as well be called ultra-realism" ("Aus diesem Grund verwende ich, was man Melodrama nennt - was man aber ebenso gut Ultra-Realismus nennen könnte."). 

Das ist wohlgemerkt Hitchcock, der 1937 auf ganze 12 erfolgreiche Jahre des Filmemachens zurückblickt. Ob er dabei an Pleasure Garden gedacht hat, ist nicht auszumachen. Truffaut gegenüber bleibt Hitch sehr im Anekdotischen, wenn er über diesen Film spricht und berichtet fast ausschließlich von den Problemen bei den Außenaufnahmen in Italien. Auf Inhaltliches angesprochen reagiert er nur mit sehr knappen Worten wie "Mag sein" (Truffaut 34), auf Formales kaum detaillierter ("... mit ein paar interessanten Szenen" [Truffaut 29]). Es ist offensichtlich kein Film, der Hitchcock in Erinnerung geblieben ist. Wenn das Melodramatische für den Hitchcock von 1937 rückblickend eine so wichtige Funktion gehabt hat, dann scheint es nicht, als ob er Pleasure Garden mit seiner recht oberflächlichen Melodramatik in seine Überlegungen mit einbeziehen würde. 

Kurz: Ich glaube, dass Hitchcock Pleasure Garden nicht sonderlich gemocht hat und ihn überhaupt nur deshalb in Erinnerung hatte, weil er "mein allererster Film als Regisseur" war (Truffaut 29). Dafür spricht auch, dass der zweite Plot-Strang, rund um Jill (und Prinz Ivan), nicht zu Ende erzählt wird. Es geht im letzten Viertel nur noch um Patsy. Warum also überhaupt Jill zu Beginn so viel Raum geben, wenn ihre einzige Funktion zu sein scheint, vom Showbiz verdorben zu werden und dann in den Armen des sinister dreinblickenden Prinzen zu verschwinden? Wirklich, die Handlung ist absolut krude.

Kolonialismuskritik? Fehlanzeige

Der Film krankt daran, dass die Vorlage nicht besonders gut ist. Mit gutem Willen ließe sich der Film als Kritik an kolonialer Ausbeutung lesen, da es ja der böse Levet ist, den wir als rücksichtslosen Kolonialherren sehen, der Tod und Zerstörung mit sich bringt, während der gute und aufrichtige Hugh krank wird im Angesicht kolonialer Ausbeutung. Aber da sind ja noch die zahlreichen anderen guten und moralisch aufrechten Engländer, die von der kolonialen Ausbeutung profitieren (dabei aber nett wirken). Immer wieder sehen wir, wie Engländer von Schwarzen auf Sänften getragen werden wie römische Kaiser von ihren Sklaven. Das alles zeigt leider wenig Bewusstsein für eine rassismuskritische und kolonialismuskritische Auseinandersetzung mit dem Thema. Auch spätere Filme Hitchcocks werden in dieser Hinsicht, so viel sei schon vorweggenommen, wenig mehr zu bieten haben.

Der Fluch des frühen Werks

Es ist der Fluch des frühen Werks, dass man in ihm erste Spuren späterer Meisterschaft zu entdecken hofft. Das ist ein untrüglicher Beweis, dass auch spätere Werke in der Lage sind, die früheren Werke zu verändern. Und so haben auch einige Kritiker*innen argumentiert, dass in Pleasure Garden "we can perceive a host of technical and thematic tour de forces already in full flower" (Strauss 2004: 25) (dt.: "wir können [in Pleasure Garden] eine Reihe technischer und thematischer Glanztaten in voller Blüte erkennen"). Die Frage ist, ob Film-Kritiker*innen einen "Blindtest" bestanden hätten. Hätte man ihnen den Film gezeigt, ohne ihn als "frühen Hitchcock" zu deklarieren, hätten sie ihn gleichsam bewundert? Ich habe da meine Zweifel. 

Die Bezeichnung „früh“ im Reden über Werke ist selten besonders schmeichelhaft, wie die Oxforder Shakespeare-Expertin Emma Smith einmal im Hinblick auf Shakespeares Werkeinteilung in früh und spät erläutert hat. "Früh" heißt dann "noch nicht ganz reif". 

Hitchcock Blonde? Fehlanzeige! Nur eine Perücke (klicken zum Vergrößern)

Wer in Pleasure Garden den späten Hitchcock sucht, wird nur mit ein wenig Mühe fündig. Der Film eröffnet mit einer spiralförmigen Treppe. Aber ist das schon ein Hinweis auf die Darstellung von Schwindel, die Hitch 32 Jahre später in Vertigo perfektionieren würde? Als wir Patsy zum ersten Mal sehen, lobt ein aufdringlicher Verehrer ihre blonden Locken. Aber wer hier eine erste Frau vom Typ „Hitchcock blonde“ vermutet, wird enttäuscht: Lachend zieht Patsy eine Locke aus ihrer Bühnenperücke, beide Hauptdarstellerinnen sind dunkelhaarig (später würde Hitchcock das als Fehler bezeichnen). 

Eine Treppe ist das erste Bild in Hitchcocks (erhaltenem) Œuvre

Das Motiv des Voyeurismus, das wir mit Filmen wie Psycho und Rear Window verbinden, taucht hier am Anfang auf, als wir eine Reihe lüsterner Herren im Publikum sehen, die Patsy und die anderen Tänzerinnen geifernd anglotzen (sehr gut im vom BFI rekonstruierten Trailer zu sehen). Aber diese Bezüge sind lose, eben weil dies kein Film über Voyeurismus, über kühle Blondinen oder über existenzielles Schwindelgefühl ist (auch wenn etwa dieser Artikel das behauptet).

Pleasure Garden und seine Cinematografie

Technisch ist Pleasure Garden ein recht konventioneller Stummfilm. Es gibt kaum filmische „Tricks“, die Hitchcock so gerne einsetzte (und die Kritiker ihm oft als billig vorwarfen, siehe Truffaut 41). Hier wird nicht durch Glasböden gefilmt, hier gibt es keine imposanten Rückprojektionen oder aufwändig kreierte Modellbauten. Es gibt eine Doppelbelichtung, um den Geist der Verstorbenen als Halluzination von Levet auftauchen zu lassen. Das war es auch schon.

Die Kamera, die Murnau ein Jahr zuvor in Der letzte Mannentfesselte“, ruht hier noch behäbig auf dem Stativ. Das kreiert die aus heutiger Sicht oft komisch anmutenden Bildserien: Close-up auf entsetztes Gesicht, Schnitt, close-up auf das was Entsetzen auslöst, Schnitt, Close-up auf das Gesicht.

Außenaufnahmen zu Pleasure Garden am Comer See

Die Laufzeit des Films wird in verschiedenen Quellen unterschiedlich angegeben. Die auf YouTube erhältliche Fassung läuft genau 60 Minuten, während IMDB 75 Min. und Wikipedia 82 Minuten Laufzeit angeben. Die Erklärung liegt am Extramaterial der vom BFI rekonstruierten Fassung. Dieser Artikel im Guardian beschreibt das näher ("How the BFI gave Hitchcock's The Pleasure Garden its rhythm back") und argumentiert, dass "20-odd minutes have been added to the extant hour-long version" ("rund 20 Minuten wurden zu der erhaltenen einstündigen Version hinzugefügt"). Ich konnte leider aus Gründen der Verfügbarkeit nur die 60-Minuten-Version sehen, möglicherweise ist mir daher der Rhythmus des Films entgangen. In dieser alten Version jedenfalls setzt Hitchcock 94 Titelkarten sowie vier gefilmte Schreiben (Briefe, Telegramme) ein, also 98 insgesamt. Das sind durchschnittlich alle 38 Sekunden eine Titelkarte und zeigt schon, dass der Fokus auf dem Dialog liegt. 

Die Außenaufnahmen in Italien sind fraglos das kostspieligste gewesen (neben der Gage für die US-amerikanischen Stars). Sie sind am Comer See entstanden (eine häufig verwendete Filmkulisse, George Lucas drehte dort eine Szene in Star Wars) Hitchcock erzählte Truffaut in voller Ausführlichkeit von den Problemen, mit denen er bei den Dreharbeiten in Italien zu kämpfen hatte und wie er dabei zum ersten Mal in seinem Leben (als 26-Jähriger) von der weiblichen Menstruation erfuhr (Truffaut 28-35). Solche autobiografischen Schilderungen sind immer mit Vorsicht zu genießen, da sie fraglos schon Teil der Markenarbeit sind, die Hitchcock zeitlebens mit seinem Namen (sehr erfolgreich) betrieben hat.

Fazit:

  • Frage: Lohnt es sich, Hitchcocks Pleasure Garden heute noch zu schauen?
  • Antwort: Ehrlich gesagt, nein. Zumindest nicht, wenn man einen guten Film erwartet. Denn das ist dieser sehr konventionelle Streifen sicher nicht. Für Hitchcock-Fans lohnt es sich teilweise, auch wenn man nicht zu viele frühe Spuren späterer Reife erwarten sollte.

  • Frage: Welche Szene ist bemerkenswert?
  • Antwort: Wenn Levets Schiff in die Kolonien ablegt und Patsy traurig ihrem Mann vom Kai aus nachwinkt, der sich aber eine Zeitung schnappt und es sich auf einem Liegestuhl bequem macht, anstatt seiner Ehefrau, die er nun zwei Jahre nicht sehen wird, nachzuwinken. Das tut auch heute noch richtig weh.

2 von 10 Messern.

Bildnachweise: Ich bin nicht der Rechteinhaber der hier wiedergegebenen Bilder. Keine Verletzung von Urheberrechten beabsichtigt. Bildzitate nach "fair use"-Regelung. 

Sie möchten diesen Artikel zitieren? Hier ist das Format nach MLA (9th ed.):
Kronshage, Eike. "Hitchcocks The Pleasure Garden (1925), oder: Erster Hitchcock-Film und kein wirklicher Hitchcock-Film?Hitchcock: Rewatch 2022, 16.05.2022, https://hitchcock22.blogspot.com/2022/05/erster-hitchcock-film-kein-wirklicher.html.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Hitchcock #027: Suspicion (1941), oder: Mit Milch gegen die Sucht

Leuchtet das Glas Milch , das Cary Grant in Suspicion die Treppe hochträgt, wirklich so hell, als ob sich eine Lampe darin befindet ?  ... ist die Frage, die sich scheinbar noch niemand gestellt hat. Denn landauf, landab liest und hört man von der genialen Idee, dass Hitchcock das Glas, auf das allein sich die Aufmerksamkeit des Publikums richten sollte, durch eine Lampe im Inneren zum Leuchten gebracht habe. Er selbst hat davon Truffaut erzählt ( Truffaut 133) und seitdem ist diese Behauptung in der Welt. Ob sie jemals jemand nachgeprüft hat, konnte ich nicht herausfinden. Aber ehrlich gesagt... milchiger als Milch sieht das nicht aus (oder mit Loriots berühmten Eheberatungssketch gesprochen, "etwas weißer als weiß").  Das non du père . Der Vater billigt die Ehe zwischen Johnnie (Grant) und seiner Tochter Lina (Fontaine) sicher nicht Ich habe die Szene mehrfach geschaut und finde (einmal mehr), dass Truffaut mit seiner ursprünglichen Vermutung wohl ganz richtig lag, als

Hitchcock #030: Lifeboat (1944), oder: Hitchcocks Floß der Medusa

Man ist sicher nicht überrascht, dass Hitchcock es schafft, zu schockieren : Ein Messer unter der Dusche, bedrohliche Vogelschwärme, eine Verschwörung im Zug... all das identifizieren wir als "typisch Hitchcock", all das schockiert auf seine je eigene Weise. Aber Hitchcocks Lifeboat  ist brutal und schockiert aus anderen Gründen als Psycho , The Birds oder The Lady Vanishes . Er befriedigt nämlich solche Kritiker*innen, die Hitchcock immer verächtlich die "Wahrscheinlichkeitskrämer" genannt hat – also die Leute, die seinen Filmen vorhalten, total unwahrscheinliche Geschichten zu erzählen (zum Leben erwachte Mütter töten unter der Dusche, Vogelschwärme attackieren ein harmloses Dorf, eine internationale Verschwörung entführt eine alte Dame). Lifeboat ist von Hitchcocks bisherigen Filmen fraglos der "realistischste" , wenn man das so sagen kann. Und das macht seine Brutalität umso spürbarer. Die erste Leiche, die wir sehen, ist ein deutscher Offizier. "

Hitchcock #028: Saboteur (1942), oder: Bloß eine Wiederholung?

Im berühmten Finale von Hitchcocks Saboteur baumelt der Schurke an der Fackel der Freiheitsstatue Die Forschungsliteratur zu Hitchcocks Saboteur ist oft nicht sonderlich originell . Ich zitiere hier einige Auszüge (in chronologischer Sortierung; alle Hervorhebungen in Fettdruck stammen von mir): "Among the innumerable and obvious references [in  Saboteur ], we cite the handcuffs and the bridge, which recall  The Thirty-Nine Steps " ( Rohmer und Chabrol 1979 : 68–70) "Ganz offensichtlich ist Saboteur mit The 39 Steps (1935) wie mit North by Northwest (1958) verwandt." ( Oplustil 1999 : 316) "While the story [of  Saboteur ] was yet another reworking of  The 39 Steps , it was at least timely" ( Adair 2002 : 76) "[ Saboteur is]  like The 39 Steps , but set in America" ( McGilligan 2003: 293) "In the broadest terms, its [ The 39 Steps ] basic plot components were clearly borrowed for many of the director's later films, including (most o