Direkt zum Hauptbereich

Hitchcock #024: Rebecca (1940), oder: Die wackelnden Blumen

Die Skizze, die Joan Fontaines Charakter im Film von Maxim de Winter anfertigt ist nicht sonderlich gut. Leider ist es der Film, in dem sie das tut, auch nicht... Rebecca ist ein überschätzter Film von Alfred Hitchcock

"Last night, I dreamt I went to Manderley again. [...] For a while, I could not enter for the way was barred to me. [...] Then, like all dreamers, I was possessed of a sudden with supernatural powers and passed like a spirit through the barrier before me." 

So beginnt der Roman Rebecca von Daphne du Maurier. Und so beginnt auch der Film Rebecca von Alfred Hitchcock, seine erste Hollywood-Arbeit. Gesprochen von Joan Fontaine, Voice-Over, als die Kamera durch ein offensichtliches Studio-Set fährt, das Nebel und Wald zeigt, bis der Weg an dem alten gotischen Anwesen Manderley ankommt (ebenfalls ein sehr offensichtliches Modell), das als Ruine im Dunkeln liegt. 

Manderley als Modell

Und die Erzählerin sagt: "The strange days of my life began for me in the South of France." Es gibt einen Schnitt und wir sehen Wellen, die Felsenriffe überspülen (es soll Monte Carlo darstellen, ist aber in Wahrheit Big Sur in Kalifornien, wo Hitchcock auch Außenaufnahmen für seinen Film Suspicion drehte) und die Silhouette eines Mannes, Maxim de Winter (eigentlich Laurence Olivier, bei den Außenaufnahmen allerdings von einem Double gespielt), wie er kurz davor zu stehen scheint, sich von einer hohen Klippe in die Wellen hinabzustürzen.

Selznick vs Hitchcock

Der Anfang von Rebecca. Bevor Hitchcocks Name erscheint, liest man fünf Mal den Namen des Produzenten, David O. Selznick

Alles das ist bemerkenswert. Nicht nur, dass es Hitchcocks erstes expositorisches Voice-Over ist (schon allein Schrifttafeln zu Beginn seiner Filme sind die absolute Ausnahme, wie in Sabotage oder Jamaica Inn); auch, weil es sich, für Hitchcock unüblich, extrem nah an den ersten zwei Seiten von Du Mauriers Roman hält (was auf Selznick zurückgeht, so Hitchcock: "Selznick hatte eine Theorie, derzufolge es die Leute wütend, machte, wenn man die Vorlage veränderte" [Truffaut 118]); auch, weil in dieser kompakten Eröffnungssequenz, die eher interessant als gelungen ist, viel Vorwegnahme (foreshadowing) steckt, da wirklich alles daraus für die Handlung des Films relevant sein wird; und auch, weil, was ich bisher unerwähnt gelassen habe, dieser Teil erst nach den eröffnenden Filmtiteln beginnt, auf denen 5 Mal der Name Selznick zu lesen ist, bevor der Hitchcocks eingeblendet wird (siehe Abbildung oben). 

Es ist 1940, Hitchcock hat den Schritt von England nach Hollywood gemacht, nachdem er in seinem Heimatland noch rasch für Charles Laughton und dessen Produktionsfirma Jamaica Inn (ebenfalls nach Vorlage von Daphne Du Maurier) gedreht hatte. Von einem problematischen, aufgeblasenen Ego (Laughton) zum nächsten (Selznick). Und auch dieser Film, Hitchcocks Start in Hollywood, trägt Spuren der Auseinandersetzung zwischen dem US-amerikanischen Produzent und dem britischen Regisseur. 

Hitchcock über Rebecca: "Es ist ein britischer Film, vollkommen britisch." (Truffaut 117). Hier eine Szene, wie sie auch in Downton Abbey vorkommen könnte.

Der Film beginnt, wie gesagt, nicht mit einem Blick auf Maxims Haus Manderley, in dem die junge Mrs. de Winter nie ganz ankommen wird; der Film beginnt mit einem Blick auf das Studio von Selznick, in dem Hitchcock nie so richtig ankommen wird. Zu Truffaut sagte Hitchcock später: "Das ist kein Hitchcockfilm (116) und fügte dann an: "Selbstverständlich gibt es in diesem Film einen außerordentlich starken amerikanischen Einfluss, [...] durch Selznick" (117). 

Ich möchte nicht im Detail den Hitchcock-Selznick-Streit aufrollen. Die Doku "Hitchcock. Selznick, and the End of Hollywood" (YouTube) gibt einen ersten guten Eindruck. Die klassische Literatur zu Hitchcock (Truffaut, Spoto, Callahan, Adair) ist übervoll davon. Festzuhalten bleibt: Rebecca ist nicht nur Hitchcocks Rebecca. Es ist auch Selznicks Rebecca. Und so gewann Selznick den Oscar für Rebecca in der Kategorie Best Picture. Aber Hitchcock ging als Best Director leer aus, wurde nicht einmal nominiert.

Inhaltsangabe

Eine junge Frau (deren Namen wir nicht kennen) (Joan Fontaine) ist als Reisebegleiterin mit der reichen US-Amerikanerin Mrs. Van Hopper (Florence Bates) in Monte Carlo. Dort lernt sie den aristokratischen und verwitweten Engländer Maxim de Winter (nicht immer überzeugend: Laurence Olivier) kennen, der sie kurz darauf überraschend heiratet. 

Endlich schafft es die neue Mrs. de Winter, zu fragen, wie Rebecca war und bekommt diese entmutigende Antwort vom Freund der Familie... 

Gemeinsam reisen sie nach England auf Maxims Anwesen, Manderley. Dort wird sie kühl von der Haushälterin Mrs. Danvers (überragend gespielt von Judith Anderson) empfangen, deren Treue immer noch der verstorbenen Rebecca de Winter, Maxims erster Frau, gilt. Alles in dem Haus erdrückt die frisch getraute junge Mrs. de Winter und bedroht das junge Eheglück. Das Ehepaar streitet sich zusehends mehr. Am Ende dieses "zweiten Akts" steht die junge Mrs. de Winter am Fenster und erwägt, angespornt von den Einflüsterungen von Mrs. Danvers, sich mit einem Sprung in die Tiefe das Leben zu nehmen. 

Was soll der arme Maxim de Winter auf diese Frage über Rebecca antworten?

Durch Zufall entdeckt man am Grund des Meeres ein Boot, das, in dem Rebecca vor einem Jahr ertrunken sein soll. Ihre Leiche ist an Bord, die Person, die in der Familiengruft beigesetzt wurde eine Fremde. Maxim gesteht seiner Frau, dass Rebecca ihm das Leben zur Hölle gemacht habe und vermutlich von ihrem Cousin schwanger gewesen sei. In jener schicksalshaften Nacht sei sie durch einen Unfall zu Tode gekommen (im Roman durch Mord), woraufhin er ihr Boot aufs Meer gefahren und versenkt habe. Der Fall wird aufgerollt und man erfährt, dass Rebecca tödlich an Krebs erkrankt gewesen sei. Das Gericht entscheidet auf Selbstmord. Alles scheint gut zu sein. Doch Mrs. Danvers zündet in ihrem Zorn Manderley an und kommt selbst in den Flammen um.

Das Wackeln der Blumen

Fehler in Hitchcock? Das gibt es selten. Sieht man einmal davon ab, dass die von ihm heißgeliebten Rückprojektionen aus heutiger Sicht wie ästhetische Fehler wirken. Davon gibt es in Rebecca auch mehrere, immer dann wenn Auto gefahren wird natürlich. Aber auch einmal, als die Eheleute durch einen Wald gehen, nachdem Mrs. de Winter unerlaubt Rebeccas Bootsschuppen aufgesucht hat. Rückprojektion eines Waldes mit Kamerafahrt von links nach rechts; Olivier und Fontaine scheinen auf der Stelle zu treten, während irgendwelche Äste ins Bild gehalten werden. Die Lächerlichkeit dieser Szene schmerzt, weil sie die Illusion bricht, ohne dass hier episches Theater im Brecht'schen Sinne vorliegt.

Rückprojektionen bei Autofahrten sind wir gewohnt. Aber bei Waldspaziergängen? Warum? In der Mitte hängt ein Ast ins Bild, um die Illusion eines echten Waldes zu erzeugen, was die Szene nur noch künstlicher erscheinen lässt

Es gibt jedoch eine interessante Szene, die ebenfalls immersionsbrechend wirkt, ziemlich genau in der Mitte des Films. Ein großer Streit hat sich zwischen den Eheleuten ereignet. Schnitt. Ein Brief von Maxim, in dem er schreibt, dass er in Geschäftsdingen für einen Tag nach London müsse, am Abend zurück sei und hoffe, "this brief holiday from me should be welcome". Schnitt. Mrs. de Winter in einem Sessel, weinend. Kamerafahrt zurück bis in die Totale des Raums, so dass die Frau verloren in dem großen Raum wirkt. 

Ab 1:02:30 kann man die Szene mit den wackelnden Blumen sehen

Bei der Kamerafahrt zurück kommt die Kamera an einem Strauß Blumen vorbei. Eine der Blumen wackelt sichtlich und stört die Statik der Szene (nichts bewegt sich sonst, außer die Hand mit Mrs. de Winters Taschentuch in das sie hineingeweint hat). Ein Fehler, höchstwahrscheinlich. Es ist anzunehmen, dass die Kamera beim Zurückfahren die Blumen berührt und damit zum Wackeln gebracht hat. Oder aber, die Requisiten im Vordergrund (Blumenstrauß rechts, Kerzenständer links) werden erst ins Bild geschoben, nachdem die Kamera eine bestimmte Stelle passiert hat. Wie dem auch sei: Die Blumen wackeln, ohne dass sie es dürften (Fenster und Türen sind geschlossen und wir wollen nicht annehmen, dass dieses ehrwürdige Anwesen zugig ist). 

Der Fehler ist produktiv zu deuten. Er macht die Kamera sichtbar oder zumindest spürbar. Sie ist, wie das seit Murnau hieß, "entfesselt", bewegt sich frei in Manderley und sieht alles. Joan Fontaines Figur hingegen ist fixiert, immobilisiert durch die erdrückende Weite des Raums. Sie wird wie von tausend Augen beobachtet ("like a prize cow", wie sie in der Szene zuvor Maxim gegenüber klagt). Und was diese Augen sehen, was die eigentlich unsichtbare Kamera sieht, ist ihr Versagen, ihre Unzulänglichkeit

Die Kamera fährt zurück und überlässt Mrs. de Winter der Weite des Raumes. Dabei stößt der Kameramann versehentlich an die Blumen rechts im Bild, so dass diese sichtbar wackeln. Ein produktiver Fehler

Die sich bewegenden Blumen sind ein Fehler im Film, wie er Hitchcock nicht oft unterläuft – in den Filmen bis 1939 hatte seine Frau Alma für so etwas ein hervorragendes Auge, hier war sie aber nicht für die Continuity zuständig. Das unbeabsichtigte Bewegen der Blumen bringt, wie Fehler es manchmal gnädig zu tun pflegen, das Beabsichtigte des Films stärker zur Geltung. Die wackelnden Blumen sind gewissermaßen, mit Flaubert gesprochen, das mot juste des Films; mit Proust, die petite phrase, kurz: Die Kleinigkeit, die in Erinnerung bleibt. 

Franco Moretti hat uns kürzlich in seinem neuen Buch darauf hingewiesen, dass es "selten die Gesamtstruktur eines Werks [ist], die unsere Aufmerksamkeit fesselt und in unserem Gedächtnis haften bleibt; weit häufiger ist es etwas sehr viel Kleinteiligeres" (Moretti 2020: 13). Im barockhaft opulenten Film Rebecca ist dies ein wackelnder Strauß Blumen.

Die Musik in Rebecca: Franz Waxman

Die Musik komponierte Franz Waxman (geboren Franz Wachsmann). Wer mit seiner Arbeit vertraut ist (er hat sehr viele Filmmusiken zwischen 1930 und 1966 komponiert), erkennt es sofort. Waxman wird später auch noch die Musik für andere Hitchcock-Filme schreiben, für Suspicion (1941), The Paradine Case (1947) und Rear Window (1954). 

Franz Waxman (Quelle Wikipedia)

Davon ist insbesondere die Musik zu The Paradine Case ein kleines Meisterwerk, das auf clevere Weise Teil der Filmdiegese wird (dazu später in diesem Blog mehr). Waxman selbst bewertete später seine Musik zu Rebecca als sein bestes Werk. Er wurde mit dem Oscar nominiert, der in diesem Jahr aber an den Disney-Film Pinocchio ging (Komponisten: Leigh Harline, Paul J. Smith und Ned Washington), die auch den Oscar für den besten Song (When You Wish Upon a Star) gewannen. Insgesamt wurde Waxman 11 Mal für den Oscar nominiert und gewann ihn zwei Mal in zwei aufeinanderfolgenden Jahren (1951 für Billy Wilders Sunset Boulevard und 1952 für George Stevens A Place in the Sun).  

Wenngleich ich Waxmans Musik schätze und das Klavierkonzert zu The Paradine Case sehr liebe und oft höre, die Musik selbst und der Einsatz der Musik in Rebecca gefallen mir nicht. Das Thema von Rebecca ist geprägt von großer Opulenz und an sich nicht ohne musikalische Schönheit. Aber der Film ist schlicht zu sehr zugekleistert mit Musik (und die Musik selbst nicht von der Suggestivkraft eines Bernard Herrmanns). Henri-Georges Clouzot sollte erst 15 Jahre später in Les Diaboliques zeigen, wie man Spannung ganz ohne Musik aufbauen kann (was Hitchcock dann gewissermaßen in The Birds auch tun würde). Hier ist einfach keine Szene ohne Musik, die Musik damit etwas aufdringlich. Man wird ihrer schnell überdrüssig. 

Der Geist von Mrs. Danvers

Mrs. Danvers sticht heraus, in ihr ist viel von der späteren Mrs. Bates, gespenstisch taucht sie in den privatesten Momenten der weiblichen Hauptfigur auf und man würde sich nicht wundern, wenn sie hinter ihrem Rücken ein großes Messer halten würde... 

Mrs Danvers (rechts) flüstert der neuen Mrs. de Winter ins Ohr, sie solle aus dem Fenster springen

Diese Rolle ist, was den Film eigentlich ausmacht, so wie der Papageno Die Zauberflöte macht (wie ich hier schon einmal schrieb). So macht Mrs. Danvers Rebecca. Eigentlich sollte dies ein Film über eine Leerstelle sein, über die erdrückende Anwesenheit der abwesenden Rebecca. Darüber, dass ihr Monogramm noch in jeder Serviette und jedem Kopfkissenbezug überlebt. Doch weil der Film so gnadenlos überfrachtet ist, kann die Leerstelle nie zu ihrem Recht gelangen. Es bedarf der gespenstischen Mrs. Danvers, die durch Manderley schwebt (tatsächlich hat Hitchcock darauf geachtet, dass man sie fast nie gehen sieht, sie ist "immer schon da, hoch aufgerichtet, unbewegt" [Truffaut 119]). Durch ihre Präsenz wird der Film aus seiner belanglosen Überfrachtung herausgehoben.

Gespenstisch schwebt Mrs. Danvers durch das Anwesen

Und dann ist da berühmte Szene, in der sie, am offenen Fenster stehend, Mrs. de Winter ins Ohr flüstert, sie solle in den Tod springen. Judith Anderson spricht ganz nah am Mikrofon, dass es beinahe schon ASMR-Qualitäten hat und einem schwindelig wird. Nur der zufällige Knall eines Feuerwerks und der Ruf "Schiffbruch!" können Mrs. de Winter (und das Publikum) aus der Trance reißen. 

Die Schlussszene von Rebecca: Mrs. Danvers sieht Manderley lieber brennen, als Maxim de Winter und seine neue Frau glücklich darin leben. Auch wenn das ihren Tod in den Flammen bedeutet.

Warum tut sie das? Ist sie eine Bilderbuch-Schurkin? Leidet sie an einer fehlgeleiteten Form von Loyalität ihrer ersten Herrin gegenüber? Ist sie die Apotheose einer Sklavenmoral, um mit Nietzsche zu sprechen? Oder ist sie eine traumatisierte Frau, die durch den schockierenden Verlust den Zugriff auf ihre eigene Gefühlswelt verloren hat? Der Film sagt es nicht. Und Judith Andersons Spiel lässt mehrere Lesarten zu. 

Remakes von und Fortsetzungen zu Rebecca

Der Stoff wurde auffällig oft verfilmt. Die ersten Neuverfilmungen gab es schon wenige Jahre nach Hitchcocks Film. Zumeist waren es Fassungen für das Fernsehen, wie etwa der 1954 entstandene Film unter der Regie von Rudolph Cartier (über den ich schon als Drehbuchautor von Edgar Wallace-Filmen schrieb, siehe hier) mit Sonia Dresdel (Mrs. Danvers), William Squire (Maxim) und Jeanette Sterke (Mrs. de Winter). Oder der 1956 von Lionel Harris gedrehte Film mit Patrick Barr (Maxim), Dorothy Tutin (Mrs de Winter) und Mary Kerridge (Mrs. Danvers). Boris Sagal führte 1962 Regie bei Rebecca mit James Mason in der Hauptrolle, siehe den Trailer

Das geht dann munter so weiter: 1979, vierteilige Fernsehserie unter der Regie von Simon Langton, mit Jeremy Brett als Maxim (er ist vielen als Sherlock Holmes bekannt), Joanna David (Mrs. de Winter) und Anna Massey (Mrs. Danvers) – hier auf YouTube zu sehen.

Diana Rigg als Mrs. Danvers (1997)

1997 eine recht bekannte Neuverfilmung von Rebecca (Regie: Jim O'Brien) mit Charles Dance als Maxim, Emilia Fox als Mrs. de Winter und der großartigen Diana Rigg als Mrs. Danvers. Man sieht: Die Verfilmungen ziehen nicht selten bekannte Schauspieler*innen an. 

Auch im nicht-englischsprachigen Ausland war der Film beliebt. In der auf IMDB sehr hoch bewerteten brasilianischen Reihe Grande Teatro Tupi gab es scheinbar drei Verfilmungen von Rebecca, einmal 1952 (Rebeca, a Mulher Inesquecível), einmal 1957 (Rebeca) und einmal 1963 (Rebecca, a Mulher Inesquecível). 1969 entstand eine erste Verfilmung in Italien. Eine weitere italienische Neuverfilmung gab es unter der Regie von Riccardo Milani im Jahr 2008

Rebecca (2020) auf Netflix

Eine Filmfassung entstand 2020 für Netflix unter der Regie von Ben Wheatley mit Armie Hammer als Maxim, Lily James als seine Frau und Kristin Scott Thomas als Mrs. Danvers (der Trailer ist hier zu sehen). 

Wer an einem synoptischen Vergleich der 1940/1997/2020er Fassungen interessiert ist, kann sich hier alle drei nebeneinander ansehen. 

Auch der Rundfunk hat sich des Stoffs angenommen. In Deutschland zum Beispiel unter der Regie von Heinz-Günter Stamm (BR, 1973) mit Peter Pasetti als Maxim (den viele als "Alfred Hitchcock" in den Drei Fragezeichen-Hörspielen kennen), Cordula Trantow als seine Frau und Eva Vaitl als Mrs. Danvers. Das Hörspiel kann man auf archive.org anhören.

Auch in den USA nahm sich der Rundfunk mehrfach des Stoffes an. Im Jahr des Erscheinens des Romans, 1938, sogar unter der Regie von niemand Geringerem als Orson Welles, der ein Hörspiel mit sich selbst als Maxim de Winter erstellte (9.12.1938), das man hier auf YouTube hören kann. Das ist insofern nicht uninteressant, als die Parallelen zu Welles Meisterwerk Citizen Kane auf der Hand liegen: Auch dort geht es um eine Leerstelle, einen toten Menschen und wie andere Menschen über ihn sprechen. Am Ende von Rebecca ist alles was bleibt das "R" von Rebecca im Feuer; bei Welles das geheimnisvolle "R" von "Rosebud" usw. 

Jens Wawrczeck liest Daphne Du Mauriers Rebecca

Als Hörbuch gibt es eine Fassung in der Reihe "Verfilmt von Alfred Hitchcock", gelesen von Jens Wawrczeck (vielen bekannt als Peter Shaw aus den Drei Fragezeichen-Hörspielen). 

Wer's mag... Rebecca: Das Musical

Auch ins Musical hat es der Stoff geschafft. Geschrieben wurde es 2006 von Sylvester Levay und Michael Kunze, die auch für andere, eher fragwürdige Musicals wie das Sissi-Musical Elisabeth (1992) oder Tanz der Vampire (1997; bei dem immerhin Roman Polański selbst Regie führte) verantwortlich sind. Gesungen wurde Maxim bei der Premiere des Musicals Rebecca vom unvermeidlichen Uwe Kröger. Nun ja, man kann sich ein paar der Nummern im Internet anhören (ganz besonders grausig: "Ich haaaaaab, geträäääääumt, von Maaaaaan-der-leeeeey!"). Wem's gefällt... 

Susan Hills Fortsetzung zu Rebecca von 1993

Auch Roman-Fortsetzungen gibt es. Die britische Erfolgsautorin Susan Hill veröffentlichte 1993 den Roman Mrs. de Winter, der die Ereignisse aus Du Mauriers Roman von 1938 fortsetzt (und dessen deutsche Übersetzung ich als Teenager gerne las, was nichts heißen muss...) Es gibt weitere Fortsetzungen, die aber eher Fan Fiction zu sein scheinen: Das Jasminzimmer von Maggie O'Farrell oder Rebeccas Geheimnis von Sally Beauman. Ich habe sie nicht gelesen und möchte mich daher nicht darüber äußern.

Man kann sich also getrost in das Rebeccaverse hineinstürzen, wenn man möchte. 

Fazit... kein gutes

Mein Fazit fällt sehr persönlich aus. Ich habe diesen Film das erste Mal Anfang der 90er gesehen, da war ich vielleicht 12 oder 13 Jahre alt. Ich mochte ihn, verglichen mit den anderen Hitchcock-Filmen, die ich kannte, nicht besonders, schrieb das aber, mit der Unsicherheit einer Mrs. de Winter, meiner Unerfahrenheit zu. Was wusste ich, ein Teenager, schon über Filme? 

Hitchcocks Cameo, gegen Ende des Films läuft er an Rebeccas Cousin (links) und einem Polizisten vorbei

Später habe ich ihn dann vielleicht noch drei oder vier Mal als Erwachsener gesehen. Und mochte ihn noch immer nicht so wirklich. Der Film ist ganz und gar aus dem Takt. Er nimmt sich 30 Minuten für eine wenig originelle Komödie in Monte Carlo (und ja, es ist ein bürgerlicher Reflex, sich über die überzeichnete Scheußlichkeit von Mrs. Van Hopper zu freuen; es ist ein romantischer Reflex, sich mit Maxim zusammen, wie der Prinz im Märchen, für das unscheinbare Mädchen an ihrer Seite zu interessieren). 

Danach dekliniert er Mrs. de Winters Demütigung in epischer Breite durch. Hier zerbricht sie eine Statuette; dort macht sie Fehler bei der Saucen-Auswahl; hier hat sie es nur gut gemeint, verletzt aber Maxims Gefühle, wenn sie in den Bootsschuppen geht; dort wählt sie die falsche Abendgarderobe und Frisur; hier... usw. Ich werde jedes Mal ungeduldig und denke: "Jetzt frag Maxim doch einfach, was mit Rebecca passiert ist!" oder "Bitte ihn um Hilfe, er weiß doch, dass Du Dich in seiner Welt nicht gut auskennst" oder "Schmeiß Mrs. Danvers raus, wenn sie derart übles Gaslighting betreibt". Ist es Joan Fontaine oder ihre Rolle, die nicht überzeugen kann (Alma Reville fand sie ebenfalls unpassend: "just too coy and simpering to a degree that it is intolerable" [zit. in Adair 65])? Oder wirkt Laurence Oliviers Maxim einfach nicht ehrfurchtgebietend genug, um ihr Eingeschüchtertsein zu erklären? Gleichwohl, es ist dieser langgezogene Mittelteil, der mich jedes Mal ein wenig langweilt. 

Wahre Liebe gibt es nur auf der Leinwand? Für die de Winters stimmt das. Ihre Zärtlichkeiten sehen sie (und wir, das Publikum) nur als Film-im-Film, wenn sie sich die Filmaufnahmen ihrer Flitterwochen anschauen... dann reißt der Film

Es gibt eine Szene, ziemlich genau in der Mitte des Films, da schauen sich Maxim und seine Frau den Film ihrer Flitterwochen an, der bei der Vorführung reißt; sie reparieren ihn, beginnen erneut, ihre Unterhaltung führt zu einem Streit, Maxim schaltet den Film erneut aus. Zwei Mal bricht in dieser Szene der Film-im-Film ab. Und als wäre in diesem doppelten Abbruch ein subliminaler Schnitt verborgen, reizt es mich jedes Mal in dieser Szene, den Film zu beenden. Sie endet damit, dass die de Winters den Film ein drittes Mal starten. Der Film zeigt sie unglücklich, der Film-im-Film zeigt ihr einstiges Glück ("Nessun maggior dolore che ricordarsi del tempo felice nella miseria", wie es so treffend bei Dante heißt). 

Wie schon ausführlich geschrieben: Alles an diesem Film ist ausführlich, ist viel, ist opulent, ist Exzess. Die Formel von Selznicks ein Jahr zuvor veröffentlichtem Film Gone with the Wind (mehr, mehr, mehr) funktioniert hier nicht, weil Hitchcock so nicht funktioniert. Was bleibt ist ein Film, der einen spüren lässt, dass er gut hätte sein können, wenngleich er bestenfalls mittelmäßig ist. Es mag wie ein Sakrileg wirken, einen so berühmten und allgemein beliebten Film aus dieser Phase schlecht zu bewerten, aber alle Kritiker*innen haben zwischendurch ihre idiosynkratische Meinung und diese hier ist meine: 

Mehr als 5 Messer kann ich nicht geben, und auch die nur mit viel Wohlwollen. Rebecca ist kein guter Film, leider. Pace, Sir Alfred! 

Works Cited (alphabetische Sortierung)

Films Mentioned (chronologische Reihenfolge)

Bildnachweise: Ich bin nicht der Rechteinhaber der hier wiedergegebenen Bilder. Keine Verletzung von Urheberrechten beabsichtigt. Bildzitate nach "fair use"-Regelung. 

Sie möchten diesen Artikel zitieren? Hier ist das Format nach MLA (9th ed.):
Kronshage, Eike. "Hitchcocks Rebecca (1940), oder: Die wackelnden Blumen." Hitchcock: Rewatch 2022, 17.09.2022, https://hitchcock22.blogspot.com/2022/09/rebecca-wackelnde-blumen.html.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Hitchcock #030: Lifeboat (1944), oder: Hitchcocks Floß der Medusa

Man ist sicher nicht überrascht, dass Hitchcock es schafft, zu schockieren : Ein Messer unter der Dusche, bedrohliche Vogelschwärme, eine Verschwörung im Zug... all das identifizieren wir als "typisch Hitchcock", all das schockiert auf seine je eigene Weise. Aber Hitchcocks Lifeboat  ist brutal und schockiert aus anderen Gründen als Psycho , The Birds oder The Lady Vanishes . Er befriedigt nämlich solche Kritiker*innen, die Hitchcock immer verächtlich die "Wahrscheinlichkeitskrämer" genannt hat – also die Leute, die seinen Filmen vorhalten, total unwahrscheinliche Geschichten zu erzählen (zum Leben erwachte Mütter töten unter der Dusche, Vogelschwärme attackieren ein harmloses Dorf, eine internationale Verschwörung entführt eine alte Dame). Lifeboat ist von Hitchcocks bisherigen Filmen fraglos der "realistischste" , wenn man das so sagen kann. Und das macht seine Brutalität umso spürbarer. Die erste Leiche, die wir sehen, ist ein deutscher Offizier. "

Hitchcock #028: Saboteur (1942), oder: Bloß eine Wiederholung?

Im berühmten Finale von Hitchcocks Saboteur baumelt der Schurke an der Fackel der Freiheitsstatue Die Forschungsliteratur zu Hitchcocks Saboteur ist oft nicht sonderlich originell . Ich zitiere hier einige Auszüge (in chronologischer Sortierung; alle Hervorhebungen in Fettdruck stammen von mir): "Among the innumerable and obvious references [in  Saboteur ], we cite the handcuffs and the bridge, which recall  The Thirty-Nine Steps " ( Rohmer und Chabrol 1979 : 68–70) "Ganz offensichtlich ist Saboteur mit The 39 Steps (1935) wie mit North by Northwest (1958) verwandt." ( Oplustil 1999 : 316) "While the story [of  Saboteur ] was yet another reworking of  The 39 Steps , it was at least timely" ( Adair 2002 : 76) "[ Saboteur is]  like The 39 Steps , but set in America" ( McGilligan 2003: 293) "In the broadest terms, its [ The 39 Steps ] basic plot components were clearly borrowed for many of the director's later films, including (most o

Hitchcock #027: Suspicion (1941), oder: Mit Milch gegen die Sucht

Leuchtet das Glas Milch , das Cary Grant in Suspicion die Treppe hochträgt, wirklich so hell, als ob sich eine Lampe darin befindet ?  ... ist die Frage, die sich scheinbar noch niemand gestellt hat. Denn landauf, landab liest und hört man von der genialen Idee, dass Hitchcock das Glas, auf das allein sich die Aufmerksamkeit des Publikums richten sollte, durch eine Lampe im Inneren zum Leuchten gebracht habe. Er selbst hat davon Truffaut erzählt ( Truffaut 133) und seitdem ist diese Behauptung in der Welt. Ob sie jemals jemand nachgeprüft hat, konnte ich nicht herausfinden. Aber ehrlich gesagt... milchiger als Milch sieht das nicht aus (oder mit Loriots berühmten Eheberatungssketch gesprochen, "etwas weißer als weiß").  Das non du père . Der Vater billigt die Ehe zwischen Johnnie (Grant) und seiner Tochter Lina (Fontaine) sicher nicht Ich habe die Szene mehrfach geschaut und finde (einmal mehr), dass Truffaut mit seiner ursprünglichen Vermutung wohl ganz richtig lag, als