1940 war ein arbeitsreiches und produktives Jahr für Hitchcock. Nach Rebecca und Foreign Correspondent dreht er auch noch Mr. & Mrs. Smith, eine Screwball-Komödie, die damit am Ende der Blütezeit des Genres steht. Der Begriff "screw" hat seinen Ursprung wohl im Baseball und meint dort einen unberechenbar geschlagenen Ball, einen Screwball. Die weibliche "screw" des Filmgenres ist folglich auch überdreht und unberechenbar und löst damit den Geschlechterkampf aus.
Zu den bekanntesten Screwball-Komödien gehören Filme wie Twentieth Century (1934), My Man Godfrey (1936) oder True Confession (1937), in denen allesamt Carole Lombard auftritt, die auch in Mr. & Mrs. Smith die Hauptrolle spielt und die der absolute Screwball-Komödien-Superstar ihrer Zeit war. Nicht selten liest man in filmgeschichtlichen Nachschlagewerken, dass die goldene Ära der Screwball-Komödie 1942 endete – was dem Todesjahr von Carole Lombard entspricht. Ihr Name ist fest mit dem Genre verbunden.
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Meistens bleibt in der screwball comedy der Streit im Privaten. Manchmal jedoch sorgt er auch für einen Menschenauflauf, so dass die Polizei einschreiten muss |
Und auch mit Hitchcock war Lombard fest verbunden. Selznick hatte ihm Lombard unmittelbar nach Hitchcocks Ankunft in Amerika vorgestellt (Spoto 223). Sie stand auch bei Selnzick unter Vertrag, ebenso wie Clark Gable, mit dem sie seit 1939 verheiratet war, der gerade für Selznick die Rolle des Rhett Butler in Gone with the Wind (1939) gespielt hatte. Lombard und Hitch mochten sich sehr, verbrachten viel Zeit miteinander und schließlich zogen die Hitchcocks sogar in das Haus von Lombard ein (Spoto 252).
Auch Jahrzehnte später, sollte Hitchcock ausschließlich mit großem Respekt über Lombard sprechen (etwa in den 1970ern in der Dick Cavett-Show). Auch wenn die enge Freundschaft zwischen Hitch und Lombard außer Frage steht, ist es bis heute unklar, wie sehr Hitchcock hinter dem Projekt Mr. & Mrs. Smith stand. Er sagte später entweder, er habe es nur Lombard zuliebe getan (Spoto 274), oder er wisse es selbst nicht mehr so genau, wieso er das Projekt annahm (Truffaut 128) oder, wie sich aus den RKO-Archiven rekonstruieren lässt, dass er Lust hatte, "eine typisch amerikanische Komödie über typische Amerikaner" zu drehen und er und Lombard "darum gebettelt hatten" (Spoto 274).
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Noch ist alles in Ordnung bei den Smiths. Ann rasiert ihren Mann David. Später im Film hätte sie mit dem Messer wohl etwas getan, dass typischer für einen Hitchcock-Film gewesen wäre... |
Ganz gleich, was wirklich seine Beweggründe waren, den Film anzufangen, man spürt, dass er ihn wohl gerne abgebrochen hätte. Denn er weiß schlicht überhaupt nichts mit dem Stoff anzufangen. Das gibt er auch selbst zu: "Ich habe mich mehr oder weniger an das Drehbuch von Norman Krasna gehalten. Da ich die Art von Leuten nicht verstand, die in dem Film gezeigt wurden, habe ich die Szenen fotografiert, wie sie geschrieben waren" (Truffaut 128).
Mal wieder hatte Hitchcock nicht seinen Wunschdarsteller bekommen, er hatte Cary Grant für die Rolle des David Smith angefragt. Aber Robert Montgomery erwies sich als guter Ersatz. Der Film krankt tatsächlich vorwiegend daran, dass er filmisch recht blutarm bleibt. Ein paar lustige Szenen ja, aber brauchte man dafür einen Regisseur vom Format eines Alfred Hitchcock?
Jedenfalls wollte das Studio, RKO Pictures Hitch haben. Es war eines der "Big Five" Studios in Amerika zu der Zeit. 1929 gegründet, hatte es bis 1941 Höhen und Tiefen durchwandert, auch Selznick war involviert, berühmte Regisseure wie George Cukor arbeiteten für RKO und niemand Geringeres als Katharine Hepburn hatte 1932 für das Studio in Cukors Film A Bill of Divorcement ihr Leinwanddebüt. Ein finanzieller Flop, wenngleich aus filmhistorischer Sicht der fraglos bedeutendste Film der RKO war Orson Welles Citizen Kane, der unmittelbar vor Hitchcocks Mr. & Mrs. Smith gedreht worden war (und der, wie ich schon schrieb, wiederum sehr stark von Hitchcocks Rebecca beeinflusst gewesen ist).
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1941 gab es in Amerika einen strengen Production Code ("Hays Code"), aber offensichtlich noch keinen "Bro Code": Denn Jefferson (hinten) hat hier gerade seinem besten Freund und Geschäftspartner David (vorne) die Frau ausgespannt |
Hitchcocks Meinung zu Welles war zurückhaltend. Von Dick Cavett nach Regisseuren befragt, die er bewundere, nennt Hitchcock Truffaut und Buñuel. Erst auf Nachfrage von Cavett, was er von Orson Welles halte, meint Hitch zögernd "Yes, he is... well, he is famous... for one big film, Citizen Kane" (siehe das Interview auf YouTube), was im Jahr 1970 ein hartes Urteil für den amerikanischen Kollegen ist, der, in umgekehrter Bewegung zu Hitchcock selbst, nach Europa ging, um Filme zu machen. Welles, das sollte man jedoch erwähnen, war zur Zeit dieses Interviews (1972) gerade in den Vorbereitungen für seine Konkurrenz-Show zu Hitchcocks "Alfred Hitchcock Presents", mit dem Titel "Orson Welles' Great Mysteries" (dt. "Orson Welles erzählt", 1973). Vielleicht daher auch die unterkühlte Reaktion von Hitch?
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Die witzigste Szene im Film: Das Date von Jefferson und Ann endet damit, dass sie im Riesenrad stecken bleiben, als es heftig zu regnen beginnt |
Ja, man merkt schon, ich schreibe um den eigentlichen Film drum herum, halte mich im Historischen und Anekdotischen auf, erzähle über Schauspieler*innen und Studios und die Filme anderer Leute... der Grund liegt, man kann es leicht erraten, an der Mittelmäßigkeit von Hitchcocks Mr. & Mrs. Smith, bei dem er, wie schon gesagt, nicht richtig wusste, was er damit anfangen sollte. Und so weiß man auch nicht so recht, was man, abseits des Anekdotischen, darüber schreiben soll. Starten wir mit der Inhaltsangabe und schauen dann mal, was wir dem Film trotz seiner Seichtheit abzugewinnen vermögen.
Inhaltsangabe von Mr. and Mrs. Smith
Das Ehepaar mit dem gewöhnlichen Namen Smith ist ganz und gar nicht gewöhnlich. Sie haben für ihre Ehe zahllose Regeln ausgeheckt, etwa die, dass sie sich bei einem Streit so lange im gemeinsamen Schlafzimmer einschließen, bis dieser beigelegt ist (das muss man sich freilich erst einmal leisten können).
Mit eben einem solchen Streit eröffnet der Film. Beim Versöhnungsfrühstück fragt Ann Smith (Lombard) ihren Mann David (Robert Montgomery), ob er sie, mit dem Wissen von heute, noch einmal heiraten würde. Da die Smiths auch die Regel haben, immer ehrlich zueinander zu sein, entgegnet er, Nein!, das würde er nicht, wenngleich er sie sehr liebe.
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Schluss mit lustig: Ann lässt Champagner-Flaschen fliegen, als er Sex statt Ehe vorschlägt... |
Wenig später erfahren beide unabhängig voneinander, dass ihre Ehe auf Grund eines Verwaltungsirrtums nicht gültig ist. Sie erwartet einen erneuten Antrag von ihrem "Mann", doch der lässt sich Zeit, zuviel Zeit - und verlangt sogar vorehelichen Beischlaf von ihr. Da schmeißt sie ihn kurzerhand raus und will ihn nie wiedersehen.
Ab hier reihen sich zahllose komische Szenen aneinander, wie die "Eheleute" versuchen, einander eifersüchtig zu machen. Das alles nimmt seinen Höhepunkt, als Jefferson (Gene Raymond), Davids bester Freund und Kanzleipartner, gegen jeden "Bro-Code" verstößt und Ann nicht nur juristisch vertritt, sondern ihr auch noch einen Antrag macht.
Das Finale spielt in einem Ski-Resort. Jefferson und Ann verbringen dort den Winter, da taucht David auf und mimt den Kranken. Ann kümmert sich besorgt um ihn, woraufhin Jefferson begreift, dass sie ihn noch immer liebt. Er reist ab und David und Ann finden in einer erotisch aufgeladenen Szene lustvoll stöhnend wieder zueinander.
Eheprobleme, seicht
Das ist natürlich nicht Szenen einer Ehe von Ingmar Bergman (1973). Will es auch gar nicht sein. Dennoch ist das Ganze etwas zu seicht. Wir verstehen zu schnell, dass für die Smiths alles im Leben ein Spiel ist (klar, sie sind auch finanzieller Sorgen enthoben und er kann es sich leisten, acht Tage lang auf Grund eines Ehestreits nicht zur Arbeit zu gehen). Und mehr noch: Nicht nur ist für sie alles Spiel, alles ist für sie Vorspiel. Das Versöhnungsfrühstück ist in Wahrheit Versöhnungssex, das begreifen wir sofort, wenn Lombard ihre nackten Füße unter dem Frühstückstisch in seine Hosenbeine schiebt (frivoler konnte man es 1940 nicht darstellen); er will statt erneuter Ehe Sex mit ihr; am Ende vertragen sie sich wieder – mit Sex (Lombards Stöhnen lässt daran keinen Zweifel; im Deutschen übrigens nicht synchronisiert, so dass man urplötzlich Lombards wirkliche Stimme hört).
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Sie ist wehrlos in Skiern, er hat schon seine Krawatte abgenommen. Alle sind bereit für den finalen F**k und so stöhnen sich Ann und David in den Abspann hinein |
Wir sehen also einen Sexfilm ohne Sex (weil 1940). Nett, amüsant, ein bisschen frivol – und vielleicht ist auch was dran, dass Beziehungsprobleme oft (am besten?) durch körperliche Intimitäten überwunden werden können. Witziger wäre es jedoch gewesen, wenn sich die Smiths nur deshalb so häufig streiten würden, weil es ihnen die Möglichkeit für Versöhnungssex eröffnet. Ich glaube, Hitchcock hätte die Idee gefallen. Aber wieder mal: 1940.
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Ich höre bei dieser Szene immer Peter Alexander "Schlittenfahrt im Schnee" singen. Es passt: Zur Szene. Zum Film. |
Er ist ausreichend "tropy", dass man alles gleich begreift und wiedererkennt. Die Ski-Hütte erinnert an The Awful Truth (1937) aber auch an Musikvideos wie "Last Christmas" von Wham oder das Robbie Williams und Nicole Kidman-Video zu "Something Stupid". Vermutlich auch an drei Dutzend Heimatfilme, die ich nicht kenne... Die Idee, den Partner eifersüchtig machen zu wollen, in dem man vorgibt, mit jemand anderen ein Date zu haben, klingt nach einem Dutzend Woody Allen-Filme. Und wie viele Champagner-Flaschen wohl wütend im Ehekrach an die Wand geschmissen werden, dürfte kaum zu zählen sein. Kurz: Das meiste davon erkennt man schnell wieder. Der Film bietet nichts Neues.
Dazu kommt, dass die Hauptcharaktere (trotz guter schauspielerischer Leistung) schlicht unsympathisch sind. Am Ende kommen die Smiths wieder zusammen (pun intended). Und man möchte sagen: Sie haben einander verdient!
Fazit:
Der Film ist zahm, wo er wild sein möchte. Er ist brav, wo er frivol sein möchte. Er ist bürgerlich, wo er anarchisch sein möchte. In einem Wort: Er verfehlt sein Ziel in jeder Hinsicht.
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Der Film ist so zahm, wie dieser Kuss von Jefferson am Ende seines Dates mit Ann. Brav auf ihre linke Wange. Man ist ja Gentleman, ein bisschen langweilig und das Jahr ist 1941... |
Er wirkt wie eine Auftragsarbeit. Etwa so wie eine Folge Tatort, die Regisseur*innen meist deshalb drehen, weil es gut bezahlt wird, nicht weil sie die künstlerische Herausforderung schätzen.
Auch wenn der Film bei Erscheinen im Februar 1941 ein großer Hit war, geriet er später schnell in Vergessenheit – sowohl bei Hitchcock-Fans, als auch bei Fans des Genres Screwball-Komödie.
Ist er unterhaltsam? Klar! Lacht man ab und zu? Bestimmt! Kann man ihn auch heute noch gut schauen? Doch doch! Würde ich den Film empfehlen? ... hier muss ich von der Regel der Eheleute Smith Gebrauch machen, immer die Wahrheit zu sagen: Nein!
Man muss ihn wirklich nicht sehen. Ich habe ihn in Vorbereitung dieses Beitrags zum zweiten Mal gesehen (zum ersten Mal in den 90ern) und konnte mich bis auf die wunderschöne Szene auf Coney Island an nichts mehr erinnern (in der Szene bleiben Jefferson und Ann ganz oben im Riesenrad stecken und natürlich beginnt es genau in der Sekunde, wie aus Eimern zu schütten; doch keine Sorge, es sind die 1940er, eine Szene später, sehen wir Ann wieder perfekt hergerichtet und trocken in Jeffersons Apartment sitzen). So wie David Smith seine Frau nicht wiederheiraten würde, muss ich ehrlich sagen, dass ich Mr. & Mrs. Smith wahrscheinlich nicht wiedersehen werde. Obwohl... bei den Smiths hat's am Ende ja auch funktioniert...5 Messer (eins davon unter Davids Nase, wie in der Szene, als er sich mit einem Salzstreuer die Nase blutig schlägt, um einen Vorwand zu erhalten, aus einer unangenehmen Szene rauszukommen; seine frivole und natürlich strohblonde Begleitung hält ihm ein Messer unter die Nase um die Blutung zu stoppen; als der Plan fehlschlägt, sagt er nur: "Just cut my throat with it"; die Szene ist tatsächlich witzig, weil sie die Szene zu Beginn des Films spiegelt, als Ann ihn rasiert und ihm auch ein Messer unter die Nase hält... da war noch alles in Ordnung).
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Wenn nichts mehr geht, Messer helfen in Hitchcock-Filmen eigentlich immer... |
Works Cited (alphabetische Sortierung)
- Spoto, Donald. Alfred Hitchcock: Die dunkle Seite des Genies. 1983. Dt. von Bodo Fründt. München, Zürich: Piper, 1999.
- Truffaut, François. Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? 1966. Übers. v. Frieda Grafe und Enno Patalas. 2. Auflage. München: Heyne, 2003.
Films Mentioned (chronologische Sortierung)
- A Bill of Divorcement (dir. George Cukor) (1932)
- Twentieth Century (dir. Howard Hawks; mit Carole Lombard) (1934)
- My Man Godfrey (dir. Gregory La Cava) (1936)
- True Confession (dir. Wesley Ruggles) (1937)
- The Awful Truth (dir. ) (1937)
- Gone with the Wind (1939)
- Rebecca (dir. Alfred Hitchcock) (1940)
- Foreign Correspondent (dir. Alfred Hitchcock) (1940)
- Citizen Kane (dir. Orson Welles) (1941)
- Mr. & Mrs. Smith (dir. Alfred Hitchcock) (1941)
- Szenen einer Ehe (dir. Ingmar Bergman) (1973)
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Kronshage, Eike. "Mr. & Mrs. Smith (1941), oder: Sexfilm ohne Sex." Hitchcock: Rewatch 2022, 25.09.2022, https://hitchcock22.blogspot.com/2022/09/mr-and-mrs-smith-sexfilm-ohne-sex.html
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